Yoga kommt aus Indien. Oder?

Was ist der Unterschied zwischen Yoga und Gymnastik?

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07.09.2018

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber vielleicht haben Sie sich auch schon mal die Frage gestellt, was eigentlich der Unterschied ist zwischen „Yoga“ und ganz ordinärer Gymnastik. Hat Yoga – über den körperlichen Aspekt hinaus – etwas mit Weisheit zu tun? Tradition? Spiritualität? Der Verbindung und Einheit von Körper-Geist und Seele? Hatten vielleicht die alten Inder tiefere und uralte Erkenntnisse über den menschlichen Körper und Geist, die den dummen Westlern verborgen blieben und bleiben? Kann man überhaupt diese Aspekte in gewöhnliche Gymnastik einbauen? 

Fragen über Fragen. 

Möglicherweise erschüttere ich Ihr Weltbild, wenn ich die Frage stelle: Was, wenn all das eben Gesagte einfach nur geschicktes Marketing ist? Wenn schön klingende Sanskrit-Namen wie „adho-mukha swanasana“ schlicht dazu dienen, einer einfachen gymnastischen Übung mehr Glanz zu verleihen? 

So stieß ich kürzlich auf das Buch „Yoga Body: The Origins of Modern Posture Practice“ von dem Historiker Mark Singleton (selbst Yoga-Lehrer). Dessen Kernthese lautet: 

„The primacy of asana [or posture based] performance in transnational yoga today is a new phenomenon that has no parallel in premodern times.“ „Das vorherrschende Üben von Asanas [also Haltungen] im heutigen transnationalen Yoga ist ein neues Phänomen zu dem es in der Vormoderne keine Parallele gibt“. 

Singleton hat sich mit der Frage befasst, warum es in den indischen Urschriften keine Abbildungen der uns bekannten Yoga-Haltungen gibt – abgesehen von einer Handvoll Sitzpositionen, die zur Meditation gedacht sind. 

Tatsächlich sind sämtliche Yoga-Übungen einem – halten Sie sich fest – dänischen System mit dem Namen „Primitive Gymnastik“ entnommen. Diese wurden von einem gewissen Niels Bukh in den 1920er Jahren konzipiert. „Primitive Gymnastik“ war wiederum ein Ableger, bzw. eine Variation eines skandinavischen Gymnastik-Systems aus dem 19. Jahrhundert. 

Dieses System fand seinen Weg nach Indien und wurde hier von einem der Gründerväter des modernen Yoga Krishnamacharya mit Elementen des Hinduismus und Aryuveda vermengt. In den 1950ern dann machte B.K.S. Iyengar, wiederum ein Schüler von Krishnamacharya, mit seinem Buch „Light on Yoga“ das Yoga im Westen bekannt. 

Somit ist Yoga im Grunde genommen nichts anderes als Gymnastik. Eine Art Work-out. Entwickelt von einem Dänen, dessen System in den 1930er-Jahren im Nazi-Deutschland sehr beliebt war: 

„His system of exercise became highly popular in Germany, and in 1933 Bukh publicly expressed his allegiance to the National Socialist cause and its aim of improving the health of the Aryan race through gymnastics.“ (Wikipedia). „Sein Bewegungssystem erfreute sich in Deutschland großer Beliebtheit, und 1933 brachte Bukh öffentlich seine Verbundenheit mit der nationalsozialistischen Sache und deren Ziel, die Gesundheit der arischen Rasse durch Gymnastik zu verbessern, zum Ausdruck.“. 

Singleton gibt zu, dass die Ergebnisse seiner Forschungen ihn in eine regelrechte Glaubenskrise gestürzt haben, jedoch kommt er dann zu dem Ergebnis, dass es letztlich keine Rolle spielt. 

„This does not mean that the kind of posture-based yogas that predominate globally today are “mere gymnastics” nor that they are necessarily less “real” or “spiritual” than other forms of yoga. The history of modern physical culture overlaps and intersects with the histories of para-religious, “unchurched” spirituality; Western esotericism; medicine, health, and hygiene; chiropractic, osteopathy, and bodywork; body-centered psychotherapy; the modern revival of Hinduism; and the sociopolitical demands of the emergent modern Indian nation (to name but a few).“ „Das bedeutet nicht, dass die heute weltweit vorherrschende Art von haltungsbasiertem Yoga „reine Gymnastik“ ist oder dass sie notwendigerweise weniger „real“ oder „spirituell“ ist als andere Formen des Yoga. Die Geschichte der modernen Körperkultur überschneidet sich und kreuzt sich mit der Geschichte parareligiöser, „nicht-kirchlicher“ (also nicht institutionalisierter) Spiritualität, der westlichen Esoterik, der Medizin, Gesundheit und Hygiene, der Chiropraktik, Osteopathie und Körperarbeit, der körperzentrierten Psychotherapie, der modernen Wiederbelebung des Hinduismus und den gesellschaftspolitischen Forderungen der aufstrebenden modernen indischen Nation (um nur einige zu nennen).“. 

Damit wir uns richtig verstehen: Es geht mir gar nicht darum, Ihnen Ihr Yoga auszureden – falls Sie welches betreiben. 

Was uns das lernen sollte (Tucholsky) ist, misstrauisch zu sein, sobald von „Traditionen“ geredet wird. Das dient nämlich häufig dazu, unliebsame Kritik zu ersticken. Ich habe mich schon oft gefragt, woher Iyengar die vielen allgemeinen und speziellen gesundheitlichen Vorteile (wie Übungen bei „Erkältungen“) des Yoga ableitet. Aus Erfahrung? Randomisierte klinische Kontrollstudien? 

Meine persönliche Beobachtung ist, dass auch fortgeschrittene Yoga-Lehrer sich nicht geschmeidiger bewegen, als der Durchschnittsmensch. Bei einem Seminar „Selbstverteidigung für Frauen“, bei dem ich einmal anwesend war, an welchem sowohl Yoga-Lehrerinnen als auch „normale“ Frauen teilnahmen, waren in der Bewegungsqualität oder Geschicklichkeit die Damen voneinander nicht zu unterscheiden. Das fiel auch einem anwesenden Yoga-Lehrer – selbst seit Jahrzehnten ein Aikidoka – auf. 

Tatsächlich ist es so, dass immer wieder Yogaübende mit Schmerzen im Bewegungsapparat sowohl in meiner Praxis, als auch in den Praxen meiner Kollegen, auftauchen.

Ich will zwar nicht sagen, dass Yoga prinzipiell gesundheitsschädlich ist, jedoch sollte man schon wissen, was man da tut. Lesen Sie dazu auch einmal den Artikel „How Yoga can wreck your body“ aus der New York Times. Sie lesen dort bspw. wie eine junge Frau von 28 einen Schlaganfall durch das falsche Ausüben einer Yoga-Position bekam. Der Autor des Artikels – William J. Broad – hat auch ein Buch darüber geschrieben, wie man Yoga verletzungsfrei ausübt („The Science of Yoga: Was es verspricht – und was es kann„).

Bildnachweis: Matthew Ragan, „Stickney Brook Yoga 62“ via flickr.com, Creative Commons BY-SA 2.0

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