Skoliose ist keine Krankheit

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05.11.2019

Eine häufig gestellte Frage ist, ob denn eine Faszienmobilisation bei einer Skoliose hilft.

Die Frage müsste allerdings eher lauten, ob man bei einer Skoliose überhaupt helfen muss.

Eine Skoliose (altgriechisch σκολίωσις skolíōsis „Krümmung“) ist eine Seitabweichung der Wirbelsäule von der Längsachse mit Rotation (Verdrehung) der Wirbel um die Längsachse und Torsion der Wirbelkörper – begleitet von strukturellen Verformungen der Wirbelkörper.“ (Wikipedia).

Die meisten Skoliosen, die man in der klinischen Praxis antrifft, sind nicht so extrem wie diese in obigem Bild.

Aus körpertherapeutischer Sicht ist es schon lustig, dass man zur „Diagnose“ überhaupt ein ein bildgebendes Verfahren verwendet. Mit ein wenig Übung erkennen Sie eine, auch eher leichte, Skoliose mit bloßem Auge schon auf 100 m Entfernung. Wenn das nicht reicht, braucht man nur leicht mit dem Zeigefinger über den Rücken zu fahren und sich von den Bahnen der Wirbelsäule leiten zu lassen. Sie werden dann bemerken, dass der Finger eine leichte „Kurve“ nach rechts oder links fährt (rechts ist nach meiner Erfahrung häufiger). Wenn Sie das sichtbarer machen wollen, können Sie auch mit einem Bodypaint-Stift eine Linie auf die Wirbelsäule malen.

Da es sich bei der Skoliose um eine sichtbare Abweichung von einer angenommenen Idealform handelt, nimmt man an, dass das irgendwie schädlich sein muss und unbedingt behandelt werden muss. Die „Therapie“formen reichen dabei von Skoliose Gymnastik, über das Anlegen eine Korsetts (was ich persönlich gerade bei Kindern immer ganz, ganz traurig finde) bis hin zur Operation und Versteifung der Wirbelsäule.

Wenn Sie sich einmal in Skolioseforen umschauen, werden Sie feststellen, dass manche Kandidaten die Gradzahl der Abweichung von einer geraden Linie als Bestandteil ihres Nutzernamens haben. Das bedeutet, dass diese Menschen sich mit Ihrer Skoliose regelrecht identifizieren. Das macht mich dann je nach Tagesform ziemlich sauer oder treibt mir die Tränen in die Augen. Hier wird Menschen eingeredet, dass sie irgendwie „kaputt“ oder nicht vollwertig sind – obwohl sie eigentlich kerngesund sind. # Der heutige Beitrag soll Ihnen dabei helfen, Skoliose nicht als Krankheit zu begreifen.

Jetzt halten Sie sich fest: Eine Skoliose ist etwas vollkommen Normales. Der Aufbau der Wirbelsäule macht eine Abweichung von einer geraden Linie (von hinten betrachtet) sogar ziemlich wahrscheinlich. Einzelne Wirbel sind in ein Gemenge von Weichteilgewebe eingebettet. Diese Wirbel müssen zwangsweise permanent in verschiedene Richtungen gezogen werden. Je nach Bewegungsgewohnheiten muss so zwangsläufig irgendwann eine Abweichung von einer geraden Linie entstehen.

Tatsächlich kommt fast keiner in meine Praxis, der nicht irgendeine leicht erkennbare Skoliose hat. Ich nenne das die „Standardskoliose“. Würden wir die Wirbelsäule mit sehr feinen Lasermessmethoden im Nano- oder Picometerbereich vermessen, gehe ich jede Wette ein, dass Sie dann in 100 % der Fälle eine Skoliose messen.

Es wird oft behauptet, dass eine Skoliose zwangsläufig irgendwann Schmerzen verursacht oder zu Bewegungseinschränkungen führt.

Zunächst gibt es keinen bewiesenen, eindeutigen 1:1-Zusammenhang zwischen bestimmten körperlichen Merkmalen und Schmerzzuständen. Wenn Sie Rückenschmerzen haben und in einem Röntgenbild eine verrutschte Bandscheibe sichtbar ist, heißt das nicht, dass die Rückenschmerzen daher rühren. Das wäre eine willkürliche Ursachenzuschreibung, weil zufällig gerade ein Merkmal heraussticht. Was glauben Sie, wie viele Menschen mit verrutschter Bandscheibe herumlaufen und niemals Rückenschmerzen haben? Wir haben es hier mit einem klassischen Trugschluss zu tun. Das ist ungefähr so, als wenn Sie als Unfallchirurg im Krankenhaus eines Wintersportgebiets arbeiten. Sie sind dann vielleicht überzeugt, dass Skifahren immer zu komplizierten Splitterbrüchen führt. Nur die Abermillionen Menschen, die heil wieder herunterkommen, sehen Sie eben nicht.

Dass man Bewegungseinschränkungen durch das Einschränken der Bewegungsfähigkeit mittels Korsett oder gar Versteifung durch Operation „bekämpfen“ will, entzieht sich meiner Meinung nach jeder Logik.

Vielleicht erinnern Sie sich noch an Butschinek’s 1. Axiom: „Der Körper macht immer alles richtig.“ Eine Skoliose können wir als Anpassungsmechanismus des Körpers betrachten, der die volle Funktionsfähigkeit bewahrt.

Dass Sie auch mit heftigster Skoliose zu Spitzenleistungen fähig sind und auch nicht zwangsläufig unter chronischen Schmerzen leiden, sollen Ihnen die folgenden zwei Beispiele zeigen.

Beispiel 1: Usain Bolt

Usain Bolt ist der schnellste Mann der Welt und Weltmeister über 100 m. Es ist ein Genuss, ihm beim Laufen zuzuschauen. Und das, obwohl er eine mit bloßem Auge erkennbare Mega-Skoliose hat (achten Sie auf den unteren Rücken):

FOTO

Beispiel 2: Lamar Gant

Lamar Gant ist ein Weltklasse-Kraftsportler. Er steht im Guinnessbuch der Rekorde. 1985 war er der Erste, der das fünffache seines eigenen Körpergewichts beim Kreuzheben (engl. „Deadlift“) hob. Bei einem Gewicht von nur 60 kg hob er 300 kg! Wenn Sie mal selber einen Deadlift gemacht haben, wissen Sie, was der Typ für eine Kraft haben muss. Und so sieht Lamar Gant aus von hinten aus (auch hier brauchen Sie kein bildgebendes Verfahren, nicht einmal Übung im Bodyreading):

Bildersuche auf DuckDuckGo

Eine Sportzeitschrift schrieb über Gant: „He bends, but doesn’t break“ – Er biegt sich, aber bricht nicht.

In diesem YouTube-Video sehen Sie noch einige Bilder mehr von Gant sowie auch den erfolgreichen Weltrekord-Versuch.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen zeigen, dass eine Skoliose nicht behandlungsbedürftig sein muss.

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Eine Faszienmobilisation streckt auch immer die Wirbelsäule nach oben – in der Folge kann sich auch eine Skoliose verringern.

Spätestens aber nach Ihrem Tod ist die Skoliose weg – ein Pathologe erzählte einem Kollegen einmal, dass er noch nie einen toten Körper mit Skoliose auf dem Tisch hatte.

Na, wenn das keine positiven Aussichten sind!

Bildnachweis:

Renee Prisble, „#scoliosis„, flickr.com, Creative CommonsBY-NC-ND 2.0

Screenshot YouTube-Video

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