25.09.2020
„Motion is lotion“ – Englische Weisheit
Im letzten Beitrag ging es um das Stretching – was es bringt, wie es geht und ob man es überhaupt braucht.
Ich hatte Ihnen ja versprochen, dass Sie heute eine Alternative zum Stretching bekommen. Diese Alternative heißt Mobilisation bzw. „Gelenk-Mobilisation“.
Vor einigen Jahren machte ich im Rahmen eines „Tag der offenen Tür“ einen Vortrag zum Thema „Faszien“ (was sonst?) in einem Yoga-Studio. An diesem Tag gab es auch einen Kurs „Selbstverteidigung für Frauen“, an dem auch die vielen hochgradig dekorierten Yoga-Lehrerinnen teilnahmen. Während ein anwesender Yoga-Lehrer und ich ein wenig zuschauten, fiel mir und auch dem Yoga-Lehrer (der selbst auch seit Jahrzehnten Aikido praktiziert) auf, dass sich die Yoga-Lehrerinnen in Ihrer Bewegungsqualität, also Ihrer Anmut und Geschmeidigkeit, bei den Übungen in nichts von dem Rest der Truppe unterschieden. Man hätte anhand der Bewegungen nicht sagen können, wer Yoga-Lehrerin ist und wer nicht.
Das zeigt uns zweierlei: Zum einen hat die Fähigkeit zur Einnahme extremer Positionen in einem Gelenkteil mit anmutiger und geschmeidiger Bewegung nichts zu tun. Und zum anderen lehrt uns das, dass Bewegungen nicht übertragbar sind. Ein Boxer kann seine Schrittarbeit durch Tanzstunden nicht verbessern.
Das einzige, was ich aus meiner Yoga-Zeit mitgenommen habe, ist der „Sonnengruß„. Das ist eine dynamische Abfolge von Yogapositionen, die flüssig miteinander kombiniert werden.
Damit sind wir auch schon bei der Definition von „Mobilisation“. Mobilisation bedeutet eine Art dynamisches Stretching – das Bewegen von Gelenken bzw. Gelenkketten in rhythmischer und auch sanfter Art und Weise ohne dabei allzu extreme Positionen einzunehmen.
Das ist für mich auch gleichzeitig ein wesentlicher Punkt bei der Gelenk-Mobilisation. Beim Stretching befinden wir uns in einer extremen Gelenkposition. Diese werden aber im Alltag so gut wie nie eingenommen. Hingegen ist der Radius bei einer Mobilisation in einem gesunden und unbedenklichen Zwischenbereich – so wie im Alltag ja auch. Oder wann haben Sie das letzte Mal jemanden gesehen, der im Spagat durch die Gegend lief?
Bei Mobilisationen wird Ihnen auffallen, wie unauffällig und wenig anstrengend Sie beweglicher werden. Beim Sonnengruß im Yoga gibt es eine Bewegung, wo man aus der Position „Hund“ ein Bein unter dem Körper nach vorne zieht. Ich kann mich erinnern, dass ich das anfänglich gar nicht konnte, sondern nur durch „schummeln“ hinbekam (was übrigens völlig ok ist), indem ich etwa das Knie nach außen nahm und mit Momentum arbeitete. Nach einer Weile wurde das immer besser und ich somit beweglicher.
Mobilisation ist spaßiger als statisches Stretching und bewegt sich in einem angenehmen Anstrengungsbereich. 5-10 Minuten täglich sind da vollkommen ausreichend.
Sie finden im Internet reichlich Mobilisationsübungen auf unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen, insbesondere aus der Calithnetics-Ecke (hier ein Beispiel). Sie können sich allerdings auch selbst Mobilisationsübungen ausdenken.
Die Kriterien für eine Mobilisationsübung sind:
- Sie arbeiten über den gesamten Bewegungsumfang eines Gelenks oder mehrerer Gelenke
- Muskelverlängerung und -verkürzung
- einfache und fast schmerzfreie Bewegung
- viele Wiederholungen
„Viele“ Wiederholungen meint zur Prävention 10-20 Wiederholungen pro Gelenkbereich. Für die Rehabilitation oder bei Schmerzen sind höhere Wiederholungszahlen besser (so im Bereich 30-50). Dann gilt es natürlich, die Mobilisation nur soweit durchzuführen, wie es schmerzfrei möglich ist. So kann man nach und nach den schmerzfreien Bereich erweitern – Sie müssen sich nicht quälen.
Eine einfache Variante einer Mobilisation ist der von Lothar Boländer entwickelte „Ein-Minuten-Körpercheck“ (Link zu Amazon. Unbedingt anklicken! Das Buch gibt es im Handel wohl nicht mehr, aber ich liebe dieses unbeholfene Cover mit 80er-Jahre Touch. Großartig!). Sie können den „1-Minuten-Check“ auf der Seite von „Simplify“ nachlesen. Der eignet sich, wenn Sie außer Übung sind, zum Aufwärmen vor anspruchsvolleren Mobilisationen und für zwischendurch.
Damit wir uns richtig verstehen: Es handelt sich hierbei nicht um eine „entweder oder“-Entscheidung. Manche Dehnungen fühlen sich einfach sehr angenehm an und wie wir ja in der letzten Woche gesehen haben, kann man damit den Bewegungsradius durchaus erweitern. Nirgends steht geschrieben, dass man das nicht miteinander kombinieren kann. Ich mache das bspw. immer so, dass ich im 2. oder 3. Durchgang einigen Positionen für 15-30 Sekunden halte (was ja ausreicht) und die restlichen Wiederholungen sind dann dynamisch.
In jedem Fall sollten Sie bei Mobilisationen darauf achten, dass sie nicht anstrengend sind, dass Sie dabei nicht verkrampfen oder es weh tut. Wann immer eines dieser Kriterien auftritt, schalten sie einen Gang zurück!
Bildnachweis: Rahel Jaskow, „Stretch!„, flickr.com – CC BY-NC-ND 2.0
Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Abonnieren Sie meine Faszienbriefe für regelmäßige Artikel
zu den Themen Faszien, Gesundheit, Bewegung und Ernährung.
Plus: Hin und wieder spezielle Angebote.