11.11.2016
Bei Vorträgen oder Infoabenden ist eine der am häufigsten gestellten Fragen „Was halten Sie denn von Faszienrollen?“
Meine Gegenfrage ist dann: „Möchten Sie die lange oder die kurze Version?“.
Die kurze Version ist: „Nicht viel“. Je nach Tagesform ist die ultrakurze Version: „Nichts“.
Da das hier aber ein Blogpost ist, folgt nun die ausführliche Antwort.
Das sog. „Foam-Rolling“, also das Arbeiten mit einer Faszienrolle, hat in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Die Faszienrolle wird angepriesen, als eine Möglichkeit beweglicher zu werden und Faszien zu lösen, also einen sogenannten „Release“ herbeizuführen.
Wenn Klienten zu mir kommen, die bereits mit einer Faszienrolle gearbeitet haben, stelle ich stets fest, dass diese regelrecht enttäuscht über die Wirkungen des Foam-Rolling sind, da der versprochene Effekt sich so nicht einstellt.
Das liegt schlicht daran, dass eine Faszienrolle keinen sog, „Release“ macht.
Eine Faszienrolle macht KEINEN Release
Schmerzen auf faszialer Ebene können dann entstehen, wenn das Fasziengewebe weniger elastisch und weniger beweglich wird. Das kann ganz unterschiedliche Gründe haben, etwa wenn bestimmte Körperbereiche gar nicht oder falsch verwendet werden. Im letzteren Fall entstehen dann Verletzungen und Gewebeschichten vernarben.
Jeder Muskel und jede Muskelfaser ist von einer Faszienhülle umgeben. Die schmerzhaften Veränderungen können zwischen Muskelteilen oder auch zwischen Fasern auftreten.
Schematisch können Sie sich diese Situation so vorstellen wie in obigem Foto.
Sie haben oben und unten eine Gewebeschicht und dazwischen festes Bindegewebe.
Wenn Sie nun auf die obere Gewebeschicht einen vertikalen Druck ausüben, was exakt das ist, was Sie mit einer Faszienrolle machen, so schiebt sich diese Schicht (also der obere Bleistift) auf die Zweite zu. Dabei wird die dazwischenliegende Faszienschicht zusammengequetscht.
Ein Release entsteht dann, wenn Sie nach unten Druck ausüben und gleichzeitig die Gewebeschichten gegeneinander verschieben. Dann kann das vernarbte Gewebe „reißen“. Es löst sich. Klienten empfinden dann meistens einen aushaltbaren Schmerz („Wohlweh“). Das ist dann ein „Lösungsschmerz“.
Schematisch wird das in nachfolgendem Bild dargestellt:
Damit es zu einem Lösen der entsprechenden Gewebeschicht kommt, ist es notwendig, dass nicht nur in das Gewebe hineingedrückt wird, sondern Gewebeschichten gegeneinander verschoben werden. Erst dann kann tatsächlich ein Release entstehen.
Im anderen Fall drücken Sie lediglich Flüssigkeit aus dem Gewebe heraus. Dieser „Schwammeffekt“ ist so ziemlich das Einzige, was Sie mit dem Rollen erreichen. Sie können sich das bildlich so vorstellen, als hätten Sie einen Schwamm mit schmutzigem Wasser und Sie drücken das schmutzige Wasser heraus und lassen den Schwamm sich wieder mit klarem Wasser vollsaugen.
Den „Schwammeffekt“ können Sie übrigens deutlich effizienter haben, wenn Sie betreffende Stellen „flossen“. Beim „Voodoo-Flossing“ verwenden Sie ein spezielles Gummiband, das Sie bspw. um einen Wadenmuskel mit sehr hohem Anpressdruck wickeln und dann den Muskel bewegen. Nach ca. 2-3 Minuten nehmen Sie das Band ab. Bevor Sie das allerdings zu Hause machen, lassen Sie sich von einem Fachmann erklären, wie das geht. Ein empfehlenswertes Buch wäre „Flossing in Therapie und Training„.
Ein anderer Effekt, den die Faszienrolle hat, ist, dass Sie bei häufiger Verwendung schmerzunempfindlicher werden. Sie können also fester drücken, ohne dass es weh tut. Toll.
So nimmt es dann auch nicht Wunder, wenn sich in einer Untersuchung (siehe Baumgartner et al.) herausstellt, dass „Foam-Rolling“ keinen Einfluss auf die Vertikalsprungleistung hat. Wie auch, wenn nur Wasser aus dem Gewebe gedrückt wird?
Nachteile von Faszienrollen
Faszienrollen haben den Nachteil, dass Sie sich, um überhaupt an eine Stelle herankommen zu können, ziemlich verbiegen und verkrampfen müssen. Das kann mitunter sehr anstrengend sein und erzeugt im gesamten Körper wieder ungünstige Spannungsmuster, die Sie ja eigentlich verbessern möchten.
Damit sich Faszien überhaupt lösen können, ist es wichtig, dass man insgesamt entspannt und unverkrampft ist. Deshalb liegen Sie bei einem Faszientherapeuten auch entspannt auf einer Liege, während der Therapeut Sie bearbeitet.
Auch können Sie, wenn überhaupt, nur an bestimmte oberflächliche Stellen am Körper heran. Tieferliegende Muskeln, wie etwa den M. Psoas, können Sie damit gar nicht erreichen. Und selbst die Stellen, die Sie erreichen können, können Sie nicht immer optimal bearbeiten, da der mögliche auszuübende Druck nicht ausreicht, um einen Schwammeffekt zu erzielen.
Deshalb wird im Marketing für die Rolle auch am häufigsten die Übung dargestellt, auf der eine Person über den seitlichen Oberschenkel rollt. Das ist nämlich auch die Übung, bei der Sie viel Eigengewicht auf die betreffende Stelle legen können, weshalb diese Übung auch den meisten Effekt haben dürfte.
Faszienrolle: Kontraindikationen
Nicht für jeden ist eine Faszienrolle geeignet. Wenn Sie bspw. Gerinnungshemmer einnehmen (wie bspw. „Falithrom“), würde ich vom Gebrauch einer Faszienrolle abraten, da es zu starken Einblutungen kommen kann. Das Gleiche gilt bei Osteoporose, Glasknochenkrankheit oder Diabetes.
Wenn Sie unter Schmerzmedikation stehen, wäre das ebenfalls ungünstig, da Ihr natürlicher Rückmelde-Mechanismus ausgeschaltet ist.
Was sind Ihre Erfahrungen mit der Faszienrolle?
Zusammenfassung
Mit einer Faszienrolle können Sie Faszien nicht lösen.
Durch den Schwammeffekt können sie allerdings Flüssigkeit aus dem Gewebe herausdrücken.
Diesen Vorteil erkaufen Sie sich allerdings mit einer erhöhten Verkrampfung während der Ausführung der Übungen.
P.S.: Ein kleiner Tipp noch: Sie können Faszienrollen in China für knapp 2 bis 4 US-Dollar beziehen. Schauen Sie einmal hier.
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